Pionier der Mikroskopie: Wolfgang Baumeister erhält Stifterverbandspreis 2019
Der Biophysiker hat mit der Kryo-Elektronentomographie die molekulare Strukturbiologie revolutioniert
Anders als im Atlas unseres Planeten finden sich im zellulären Nanokosmos noch viele weiße Flecken. Die fragile Architektur großer, aus zahlreichen Untereinheiten aufgebauter Proteinkomplexe ist besonders schwer zu entschlüsseln. Ihre Isolation und Aufreinigung reißt die Proteine zudem aus ihrem funktionellen Zusammenhang. Einen komplett neuen Ansatz verfolgt Wolfgang Baumeister – und das bereits seit über drei Jahrzehnten. Der Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie hat eine Methode entwickelt, die der Strukturforschung ganz neue Möglichkeiten und zahlreiche Anwendungsfelder eröffnet: die Kryo-Elektronentomographie. Für seine Pionierarbeit erhält er nun den Wissenschaftspreis 2019. Der mit 50.000 Euro dotierte Preis wurde am 25. Juni von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) gemeinsam mit dem Stifterverband im Rahmen der MPG-Jahresversammlung in Hamburg verliehen.
Wolfgang Baumeister wird für seine Spitzenleistungen auf dem Gebiet der Kryo-Elektronentomographie geehrt. Das Besondere: Molekulare und supramolekulare Strukturen werden im Kontext intakter Zellen mit hoher räumlicher Auflösung untersucht. Die Jury begründet die Auszeichnung mit der hohen wirtschaftlichen Relevanz der Methode, die sich in wichtigen Gebieten der Hochtechnologie, wie der Elektronik, der Materialtechnik und der Pharmazie, zeigt. Mithilfe der Kryo-Methode können größere räumliche Strukturen von Zellen bis hin zu elektronischen Bauelementen tomographisch erfasst und mit höchster Auflösung analysiert werden.
Pionierleistungen auf dem Gebiet der Kryo-Elektronentomographie
„Wir entwickeln Methoden, um die molekulare Architektur von Zellen sichtbar zu machen“, fasst Baumeister seinen Forschungsschwerpunkt zusammen. Die von ihm und seinem Team entwickelte Methode der Kryo-Elektronentomographie eröffnet der Strukturforschung ganz neue Möglichkeiten: Ganze Zellen oder Zellorganellen werden blitzartig in flüssigem Stickstoff ‚schockgefroren’. Eingebettet in glasartiges Eis bleibt jetzt die fragile Zellarchitektur unverändert erhalten. Von den zu untersuchenden Proben werden zweidimensionale Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen. Aus diesen Bildern wird dann ein dreidimensionales Bild rekonstruiert. Dank dieser Technik ist die Architektur vieler Proteine in ihrem zellulären Umfeld schon geklärt.
Strukturforschung mit dem Elektronenmikroskop
„Die vielfältigen Funktionen der molekularen Maschinen erschließen sich nur über deren Struktur“, erklärt Baumeister. Er und sein Team konnten unter anderem mit Hilfe der Kryo-Elektronentomographie die Struktur des 26S Proteasoms, eines hochkomplexen molekularen Schredders für Proteine, bestehend aus 66 Einzelproteinen, entschlüsseln. Auch die übergeordnete Organisation der Ribosomen in der Zelle, sogenannte Polysomen, konnte er und sein Team zeigen. Die Forscher widmen sich nun weiteren zellulären Strukturen und untersuchen die Baupläne der Poren in Kernhüllen, Kontaktstellen zwischen Nervenzellen (Synapsen) oder Proteinkomplexen in Membranen und Zellwänden. Mithilfe der Kryo-Elektronentomographie können diese makromolekularen Strukturen im intakten zellulären Umfeld abgebildet werden. Auch pathologische Veränderungen, wie toxische Proteinaggregate, die vor allem mit neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson assoziiert sind, können so untersucht werden. Durch die Einblicke in die Zellarchitektur kann die in der Grundlagenforschung entwickelte Methode potentiell neue Perspektiven für Therapien liefern.