Einzeller bringen Licht in die Neurobiologie
(Artikel MaxPlanckForschung)
Es war eine illustre Runde, welche die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften am 12. Dezember 2013 nach Stockholm in die Lilla Frescativägen geladen hatte. Das Thema, über das sich das Nobelpreiskomitee informieren wollte, lautete: Optogenetik. Unter den elf Wissenschaftlern waren auch zwei von Max-Planck-Instituten sowie zwei weitere Forscher, die ihre ersten Schritte auf diesem Gebiet als junge Gruppenleiter bei Max-Planck unternommen hatten.
Schon 1979 hatte der Entdecker des DNA-Codes, Francis A. Crick, es als die größte Herausforderung der Neurowissenschaften bezeichnet, selektiv einen bestimmten Zelltyp im Gehirn zu beeinflussen und die übrigen unverändert zu lassen. Er spekulierte in seinen Vorlesungen, als Kontrollwerkzeug könne Licht dienen: in Form örtlich und zeitlich begrenzter Impulse unterschiedlicher Farben. 30 Jahre später wird diese Vision Wirklichkeit: Die Optogenetik schickt sich an, die Neurowissenschaften zu revolutionieren, erlaubt sie doch erstmals die nichtinvasive Manipulation neuronaler Netzwerke in einem Organismus – angefangen bei dem kleinen Fadenwurm Caenorhabditis elegans bis hin zur Maus. Und vielleicht irgendwann sogar beim Menschen. Eine Methode also, die das Zeug zum Nobelpreis hat.
Die Entdeckung des ersten mikrobiellen Rhodopsins
Doch was inzwischen gängiges Werkzeug von Neurowissenschaftlern ist, hat an ganz anderer Stelle begonnen, nämlich bei einem kleinen, salzliebenden Archaebakterium, Halobacterium salinarum. Archaebakterien sind die „Oldtimer“ des Lebens. Seit der frühen Evolution haben diese Einzeller in extremen Lebensräumen – wie etwa in Salzseen oder heißen Vulkanquellen – ausgeharrt, während sich Bakterien und die Eukaryonten sehr viel freizügiger entfalten konnten.
Es war mehr oder weniger ein Zufall, der den Biochemiker Dieter Oesterhelt in Kontakt brachte mit Halobacterium salinarum. Doch dieses Archaebakterium sollte schließlich zentraler Forschungsgegenstand seines Wissenschaftlerlebens für die kommenden 40 Jahre werden. Oesterhelt hatte im Labor von Feodor Lynen am Max-Planck-Institut für Zellchemie (später Max-Planck-Institut für Biochemie) über ein Stoffwechselenzym promoviert, die Fettsäuresynthetase. „Ein Riesenpartikel“, wie er sagt, „dessen Struktur man nur mittels Elektronenmikroskopie entschlüsseln konnte.“
Deshalb ging der Forscher im Jahr 1969 für ein Sabbatical nach San Francisco zu Walther Stoeckenius, einem ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie. Oesterhelt wollte diese Technik bei ihm im Labor erlernen. Stoeckenius interessierte sich für die Membran des Halobakteriums, denn zu diesem Zeitpunkt war die molekulare Struktur von Zellmembranen noch Gegenstand kontroverser Diskussionen. „Das war die sogenannte Purpurmembran, die hieß damals schon so. Aber es war völlig unklar, was das ist“, erzählt Dieter Oesterhelt.
Allen Blaurock, der sich zu dem Zeitpunkt ebenfalls im Labor von Stoeckenius aufhielt, bat Oesterhelt um Unterstützung bei der Aufbereitung seiner Proben. Um die Lipide aus der Membran herauszulösen, experimentierte dieser mit verschiedenen organischen Lösungsmitteln: „Ich extrahierte also die violette Membran mit Chloroform-Methanol – und hatte plötzlich einen gelben Extrakt“, erinnert sich Oesterhelt.
Eine solche Absorptionsänderung über einen Bereich von knapp 200 Nanometern hinweg erschien dem jungen Biochemiker ganz ungewöhnlich. Doch Allen Blaurock wiegelte ab, er hatte in London bei Maurice Wilkins an der Retina von Fröschen gearbeitet. Für ihre Röntgenbeugungsexperimente mussten sie die Froschretina in einem ganz bestimmten Winkel bestrahlen. „Aber wenn wir da nicht aufgepasst haben“, so Blaurock gegenüber Oesterhelt, „dann ist der Strahl in das schöne rote Auge des Frosches gefahren, und auf einmal wurde es gelb.“
Für Dieter Oesterhelt war das der entscheidende Hinweis. Er holte sich aus der Bibliothek die Daten für Retinal, jenes lichtabsorbierende Pigment in der Netzhaut von Wirbeltieren, und unterzog anschließend die Purpurmembran einer massenspektroskopischen Analyse. Kein Zweifel: Es handelte sich um Retinal. Die erste Reaktion von Walther Stoeckenius fiel allerdings wenig euphorisch aus – sie lautete schlicht: „Das gibt es nicht. Das gibt es nicht in Prokaryonten.“
Und so ähnlich sah das wohl auch der Gutachter für das Fachmagazin NATURE. Die eingereichte Publikation wurde zurückgewiesen mit dem Hinweis, die Experimente seien zwar in Ordnung, aber die Analogie zu Rhodopsin sei doch weit hergeholt. „Es war einfach inakzeptabel, dass man Retinal woanders findet als in einem Auge“, resümiert Oesterhelt. Und so erschien die erste Publikation zu Bacteriorhodopsin, wie die Autoren ihr Molekül getauft hatten, 1971 in dem Journal NATURE NEW BIOLOGY.