Neue Strategien gegen Krebs und Diabetes
(Artikel MaxPlanckForschung)
Interview mit Professor Axel Ullrich vom Max-Planck-Institut für Biochemie
Von Diabetes zu Krebs und wieder zurück – Axel Ullrich vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried kehrt zu seinen Ursprüngen zurück. Hier spricht er über Erfolge, Enttäuschungen und neue Herausforderungen im Kampf gegen die beiden Volkskrankheiten.
Interview und Text: Klaus Wilhelm
Kinasen sind eine Klasse von Proteinen, die so genannte Phosphatgruppen auf andere Moleküle übertragen und diese damit aktivieren. Zu den rund 500 verschiedenen Kinasen in menschlichen Zellen zählen auch die von Axel Ullrich intensiv erforschten Rezeptor-Tyrosinkinasen, die durch die Membran einer Zelle von außen nach innen reichen und von denen jede Zelle einige hundert verschiedene besitzt. Sie funktionieren wie ein Schalter, der umgelegt wird, nachdem Wachstumsfaktoren an dem Rezeptormolekül angedockt haben. In der Zelle wird dann über eine komplexe Signalkaskade der Stoffwechsel und die Aktivität von Genen beeinflusst.
Rezeptor-Tyrosinkinasen und ihre nachgeschalteten Signalbahnen sorgen beispielsweise dafür, dass sich während der Entwicklung von Organismen die verschiedenen Gewebe wie Blutgefäße, Nerven- oder Bindegewebe ausbilden. Bei Krebserkrankungen ist die Funktion dieser Moleküle häufig gestört oder sie werden vom Tumor übermäßig aktiviert, um das bösartige Wachstum zu beschleunigen und zu steuern.
Sutent mit seinem Wirkstoff Sunitinib hat eine breite Wirkung auf die Aktivität von Kinasen und hemmt mehr als 200 dieser Signalüberträger. Das Medikament ist für die Therapie von Nierentumoren und einer seltenen Form des Magenkrebses zugelassen. Darunter sind offenbar auch Kinasen, die mit der Regulation der Insulin-Produktion zu tun haben.
Kannte man denn die Bedeutung der Kinasen bei Diabetes?
Ullrich: Nein, überhaupt nicht, obwohl die Forschung an sich sehr viel weiß über die Signalwege und die verschiedenen Schritte zur Insulin-Produktion. Als ersten Erfolg unseres neuen Projektes haben wir drei Kinasen gefunden, die am Insulin-Stoffwechsel beteiligt sind. Jetzt fangen wir an, so genannte kleine chemische Moleküle zu entwickeln, die diese drei Kinasen so ähnlich wie Sutent hemmen - aber mit deutlich weniger Nebenwirkungen.
Das ist die eigentliche Herausforderung...
Ullrich: Genau, das ist Besondere. Bei einer chronischen Erkrankung wie Diabetes kann man allenfalls leichte Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Deshalb können wir Zuckerkranken nicht Sutent geben, denn leider ist die Einnahme des Medikaments häufig mit ernsthaften negativen Begleiterscheinungen verbunden wie Müdigkeit, Durchfall, arteriellem Bluthochdruck oder Mundschleimhautentzündungen. Bei einer so akut tödlichen Erkrankung wie Krebs ist das eher tolerierbar.
Herausforderungen wie diese faszinieren den passionierten 67-jährigen Grundlagenforscher und Medikamenten-Entwickler noch im Spätherbst seiner Karriere. Kein Wunder also, dass er sich Anfang der 80erJahre, nach dem famosen Insulin-Erfolg, dem Thema Krebs zugewendet hat – der in den Augen vieler Menschen heimtückischsten Erkrankung und einer der größten Herausforderungen in der medizinischen Forschung. Als er damals seinen ganz eigenen wissenschaftlichen Kampf gegen den Krebs aufgenommen hat - beflügelt von den aufflammenden Möglichkeiten der molekularen Biologie - war er davon überzeugt, dass Krebs noch im Laufe seines Lebens heilbar sein würde.
Ullrich: Jaja, das habe ich gedacht und auch öffentlich so gesagt. Heute würde ich das nicht mehr so unterschreiben, auch wenn wir das anstreben sollten. Das muss man auch, dafür ist Krebs einfach zu schrecklich. Aber ob man das jemals erreichen wird, eine wirklich komplette Heilung auch von fortgeschrittenem Krebs mit Metastasen, da bin ich mir nicht mehr so sicher.
Was macht den mit einem „naiven Optimismus“ ausgestatteten Krebsforscher Ullrich, wie Sie sich mal bezeichnet haben, heute so skeptisch?
Ullrich: Wir haben komplett unterschätzt, dass Krebszellen genetisch instabil sind. Die verändern sich laufend, sie passen sich an die Umwelt im Körper an. Das hat fast etwas Philosophisches. Die Naturgesetze, die die Entwicklung von Leben auf diesem Planeten ermöglicht haben, sind die gleichen, die im Krebs wirksam sind und das befallene Individuum töten. Das sind die Gesetze der Evolution. Je günstiger die Veränderungen für die Krebszelle sind, desto stärker setzt sie sich durch und überlebt.